Angst.
So ließ sich mein Gefühl am Besten beschreiben, als
mein Team-Chef und der Personalleiter mir im Feedback-Gespräch mitteilten, wo
sie mich in Zukunft sehen würden.
Eigentlich sollte es nur eine Rückmeldung zu meiner
Arbeitsleistung werden. Eine unkomplizierte Reflektion meines Schaffens. Ich
hatte darum gebeten, weil ich wissen wollte, ob ich mich in irgendeiner Weise
verbessern musste.
Vor sieben Monaten stand noch alles auf der Kippe. Trotz der
großen Bedenken meiner Vorgesetzten hatte man mir die Chance gegeben, mich zu
behaupten und mich die Probezeit bestehen lassen. Damals von Zweifeln und existenziellen
Druck geplagt, hätte ich nie im Leben daran geglaubt, mich jemals in der neuen
Firma beweisen zu können. Die psychologische Hilfe der Seelenklempnerin hatte
mir viel bedeutet. Immer und immer wieder nahm ich das Angebot mit ihr zu
sprechen dankend entgegen. Bei ihr konnte ich mich über all meine Ängste
auskotzen. Ihr konnte ich offen sagen, was mich beschäftigte und Britta stand
mir mit wertvollen Tipps zur Seite.
Und nun das! „Senior of Operation Germany“
Dies sollte in absehbarer Zeit meine neue Berufsbezeichnung werden.
So richtig konnte ich die Beförderung noch gar nicht fassen. Ich hatte hart an
mir gearbeitet, doch dass ich einmal mehr als eine einfache Sachbearbeiterin
werden sollte, hätte ich mir nie erträumen lassen.
Seit einigen Monaten wuchs das Team mit dem ich mich
inzwischen pudel wohl fühlte, auch wenn uns drei wieder verlassen mussten. Ich hatte
ein paar fähige Menschen um mich, aber auch ein paar Leute mit denen ich kaum
klar kam; die mich nervten und mir den letzten Funken Geduld raubten.
Jenny, eine Kollegin, die mir inzwischen sehr ans Herz
gewachsen war, hatte ebenfalls eine Beförderung angeboten bekommen. Ich freute
mich für sie. Jenny hatte es verdient, nicht nur, weil sie eine der
Dienstältesten neben mir war, sondern, weil ich von ihren Fähigkeiten mehr als
überzeugt war. Für mich war sie so eine Art Anker; eine beständige
Wegbegleiterin in unserem Team, die immer ein offenes Ohr für mich hatte, wenn
ich Rat in unserer Arbeit brauchte.
Jenny war für das Land bestimmt worden, in der unsere Firma
seit Gründung ansässig war. Eine bessere Wahl konnten unsere Vorgesetzten gar
nicht treffen. Jenny war engagiert, fleißig, geduldig und hilfsbereit, konnte
aber, wenn nötig, auch auf den Tisch hauen. Allerdings kam es nur selten vor.
Dazu gehörte schon eine Menge an Ignoranz der Arbeit gegenüber, damit sie aus
der Haut fuhr, obwohl es, ihrer Aussage nach, oft im Inneren brodelte.
Ich hingegen hatte so meine Probleme mit Bestimmtheit. Woran
das lag? Keine Ahnung; vielleicht daran, dass ich Harmonie liebte, dass ich eine
ausgeglichene Atmosphäre brauchte um konzentriert arbeiten zu können. Ich
hasste es, wenn man mich spüren ließ, dass man ein Problem mit mir hatte.
Und genau damit würde ich in Zukunft konfrontiert sein. Eine
Horrorvorstellung für mich. Fachliche Führung für das Team. Ich konnte mir
nicht einmal ansatzweise vorstellen, was dies für mich bedeuten würde. Aber
genau das sollte eine meiner neuen Aufgaben sein.
Warum hatten sie genau das „Potenzial“ in mir gesehen? Meine
Chefs wussten doch, wie sehr ich an mir zweifelte. Ich war bei jeder kleinen
Entscheidung unsicher und versuchte mich immer abzusichern. Seit meiner
Kindheit hatte ich Angst vor Fehlern und den Konsequenzen, die damit einher
gingen. Selbstbewusst war ich noch nie gewesen. Es war mir einfach zu wichtig,
was andere über mich dachten. Wieder und wieder hatte ich danach gestrebt, es
jedem Recht zu machen und nun sollte ich ein Team führen, in dem genau dieses
Selbstbewusstsein verlangt wurde. In dieser Position musste ich meine
Entscheidungen gegenüber anderen verantworten und bei Widerstand mich
durchsetzen. Etwas, was ich noch nie in meiner beruflichen Laufbahn machen musste.
Eine Verantwortung die mich herausfordern würde.
Seit ich hier arbeitete, wohlbemerkt weniger als ein Jahr,
hatte ich eine neue Fähigkeit an mir entdeckt. Da unser Team im ständigen
Wachstum war und ich seit „Eröffnung“ des deutschen Sitzes dabei war, mussten
immer wieder neue Mitarbeiter eingearbeitet werden. Dies fiel mir anfangs
schwer, doch mit jeder weiteren Einarbeitung fiel es mir leichter. Vielleicht
etwas chaotisch, aber ich war auf dem besten Weg eine Struktur zu entwickeln.
In letzter Zeit mit meinen alteingesessenen Kolleginnen, Jenny und Agnieszka,
und dem Chef der Abteilung. Demnach konnte meine bisherige Einarbeitung so
schlecht nicht sein, wie man an Jenny bestens sah. Dennoch gab es wieder diesen
bohrenden Zweifel.
Zwei, der Neulinge raubten mir inzwischen jeden Nerv und
selbst die besonnene Kollegin, Jenny, biss sich die Zähne an ihnen aus. Wir
versuchten immer wieder, inzwischen mit Agnieszka, die wir liebevoll Aga
nannten, den Bambis unseres Teams die Arbeit näher zu bringen; zu verdeutlichen
auf was es ankam und die Prozesse dahinter verständlich zu erläutern. Doch all unsere
Bemühungen trugen bei den Beiden keine Früchte und wir waren überfragt, woran
das lag. Wir zweifelten an unserer Kompetenz, so kompliziert war unsere
Tätigkeit in der Firma nicht. Eigentlich bestand sie nur aus Monkey-Work. Daten
eintragen! Was sollte so schwer daran sein? Sicher, man musste auf einiges
achten, aber das musste man überall, wenn man mit sensiblen Daten arbeitete. Sie
erleichterten uns die Arbeit in keiner Weise. Ziel war es, dass man uns Arbeit
abnahm, doch mit diesen beiden Exemplaren hatten wir mehr denn je zu tun. Wir
mussten ihnen bei Fragen zur Seite stehen, Prozesse immer und immer wieder
verständlich erklären und ihre Arbeit hinterher auch kontrollieren. Wir drei
gaben unser Bestens, doch irgendwann gelangen wir an einen Punkt, an dem die
Überforderung ihren Tribut einforderte. Unsere Ticketzahlen stiegen und wir
bekamen Probleme. Immerhin ruhte die Arbeit neben der Einarbeitung nicht und so häuften sich an jedem Tag mehr und mehr Tickets, die auf ihre Erledigung warteten.
Insgesamt hatten wir, zum Zeitpunkt der Verkündung des
Aufstiegs, vier Bambis und neben den beiden problematischen Mitarbeitern waren
die anderen Neulinge vorzeigefähig. In zwei Wochen hatten sie mehr von den
Arbeitsprozessen verstanden und konnten selbst die herausfordernden Fälle
bearbeiten. Auch sie hatten hin und wieder Klärungsbedarf – keine Frage, jedoch
arbeiteten sie lösungsorientiert, was wir bei den anderen schmerzlich
vermissten.
Und genau dies machte mir Angst. Mein zukünftiges Team stand
noch nicht, doch ich begann schon kurz nach dem Feedback-Gespräch mir Sorgen zu
machen, ob ich mit solchen Menschen als Führungskraft umgehen könnte.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Diesen Spruch bekam ich von unserer Office Managerin zu hören und
vermutlich, so dachte ich, würde ich ihn auch von Britta hören.
Und dennoch: Da war sie wieder, die Angst. Angst vor dem
Versagen; Angst vor der Verantwortung. Genau wie vor sieben Monaten. ICH WILL
NICHT SCHEITERN!